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Gesundheit
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Melatonin – eine unbedenkliche Einschlafhilfe?

Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit dem Inhaltsstoff Melatonin sollen nach Angaben der Hersteller das Einschlafen erleichtern und den Schlaf verbessern. Das Angebot solcher NEM in Drogerien, Apotheken und im Internethandel hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Verzehr von melatoninhaltigen NEM kann mit unerwünschten gesundheitlichen Wirkungen verbunden sein.

Nach Bewertung der vorliegenden wissenschaftlichen Daten rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) insbesondere Schwangeren, Stillenden, Kindern, Jugendlichen und Personen mit bestimmten Vorerkrankungen von einer eigenständigen, unkontrollierten Anwendung melatoninhaltiger NEM ab. „Melatoninhaltige Nahrungsergänzungsmittel sollten nicht unkritisch – insbesondere nicht über einen längeren Zeitraum – eingenommen werden“, sagt BfR-Präsident Professor Dr. med. Andreas Hensel. „Wer unter Schlafstörungen leidet, sollte die Ursache ärztlich abklären lassen.“

Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das neben der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus auch an der Regulation anderer Körperfunktionen beteiligt ist. Melatonin ist als Wirkstoff in bestimmten verschreibungspflichtigen Arzneimitteln unter definierten Anwendungsbedingungen zugelassen, zum Beispiel zur vorübergehenden Behandlung von Schlafstörungen bei Menschen ab 55 Jahren sowie bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 2 bis 18 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störungen und/oder Smith-Magenis-Syndrom, einer seltenen Erbkrankheit.

Produktpalette an melatoninhaltigen NEM hat zugenommen

In den letzten Jahren werden NEM mit dem Inhaltsstoff Melatonin von den Herstellern als vermeintlich harmlose Einschlafhilfe vermarktet. Sie sind in Drogerien, Apotheken sowie im Internethandel in verschiedenen Darreichungsformen (Kapseln, Tropfen, Spray, Pulver oder Weichkaugummi) erhältlich. Datenbankrecherchen zeigen, dass die Produktpalette der im Handel erhältlichen melatoninhaltigen NEM in den letzten Jahren zugenommen hat. Bei einem Teil der auf dem Markt befindlichen NEM ist die empfohlene Tagesdosis an Melatonin gleich oder höher als die übliche Dosierung zugelassener melatoninhaltiger Arzneimittel.

NEM sind Lebensmittel, die zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung bestimmt sind. Sie sind daher im Gegensatz zu Arzneimitteln nicht zulassungspflichtig und werden demnach nicht generell auf Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit geprüft. Während die Einnahme von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Melatonin unter ärztlicher Kontrolle erfolgt, können Verbraucherinnen und Verbraucher melatoninhaltige NEM ohne vorherige ärztliche Beratung und ohne Rezept selbst erwerben. Es ist davon auszugehen, dass Personen mit Ein- oder Durchschlafstörungen melatoninhaltige NEM eventuell auch langfristig unkontrolliert einnehmen. Konkrete Daten aus der Bevölkerung zum aktuellen Verzehr von melatoninhaltigen NEM, zum Beispiel aus Verbraucherbefragungen, liegen dem BfR derzeit nicht vor.

Die gesundheitlichen Risiken, die mit der Einnahme von melatoninhaltigen NEM – insbesondere bei Langzeitanwendung – verbunden sein können, sind bisher nur unzureichend untersucht. Ein belastbarer gesundheitsbezogener Richtwert für die Zufuhr von Melatonin über NEM, bei dessen Einhaltung keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind, kann daher auf der Basis der vorliegenden wissenschaftlichen Daten derzeit nicht abgeleitet werden.

Als unerwünschte Wirkungen einer Melatonineinnahme bei gesunden Erwachsenen werden häufig eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit, eine verminderte Aufmerksamkeit oder verlängerte Reaktionszeiten genannt. Dies kann zum Beispiel im Straßenverkehr oder bei bestimmten beruflichen Tätigkeiten zu einem erhöhten Unfallrisiko führen. Weitere mögliche unerwünschte Wirkungen im Zusammenhang mit der Einnahme von Melatonin sind unter anderem Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, Absinken der Körpertemperatur, Albträume, Kraftlosigkeit und Gangunsicherheit. Die derzeit verfügbaren Daten aus wissenschaftlichen Studien deuten darauf hin, dass zumindest bei bestimmten Personengruppen weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzukommen können. So zeigen Studien an Erwachsenen, dass die einmalige Einnahme von Melatonin den Blutzuckerspiegel akut beeinflussen kann. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine langfristige Einnahme von melatoninhaltigen NEM das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen kann. Das BfR empfiehlt daher Personen mit einem erhöhten Risiko für diese Stoffwechselerkrankung, Melatonin nur nach ärztlicher Rücksprache einzunehmen.

Melatonin hat Einfluss auf verschiedenen Hormone

Andere Studien an Erwachsenen zeigten einen Einfluss von Melatonin auf verschiedene Hormone, zum Beispiel auf die Konzentration des Wachstumshormons GH, bei relativ niedriger Dosierung. Ob eine langfristige orale Melatoningabe bei Kindern und Jugendlichen zu Veränderungen des Längenwachstums führen kann, ist derzeit unklar und bedarf weiterer Untersuchungen. Unklar ist auch, inwieweit oral zugeführtes Melatonin die individuelle hormonelle beziehungsweise pubertäre Entwicklung beeinflussen könnte. Aus diesem Grund sollten Kinder und Jugendliche nach Auffassung des BfR von der unkontrollierten Einnahme melatoninhaltiger NEM ausgeschlossen werden. Gleiches gilt für Schwangere, Stillende und Frauen mit Kinderwunsch, da das Hormon auf das ungeborene Kind im Mutterleib beziehungsweise in die Muttermilch übergeht und Säuglinge Melatonin nur sehr langsam abbauen können. Schließlich gehören auch Personen mit eingeschränkter Leber- und/oder Nierenfunktion sowie Personen mit Autoimmunerkrankungen oder Epilepsie zu den Personengruppen, die wegen möglicher gesundheitlicher Risiken auf die unkontrollierte Einnahme von melatoninhaltigen NEM verzichten sollten.

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Wegen möglicher Wechselwirkungen zwischen dem aufgenommenen Melatonin und bestimmten Arzneimitteln sollten Personen, die Arzneimittel einnehmen, die Einnahme von Melatonin vorher ärztlich abklären. Dies gilt insbesondere, aber nicht ausschließlich, im Zusammenhang mit der Einnahme bestimmter blutdrucksenkender Medikamente, Blutgerinnungshemmer oder Antidepressiva.

Grundsätzlich ist zu beachten, dass der Abbau von oral aufgenommenem Melatonin von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ist. Dies hängt unter anderem mit dem Alter und den individuellen genetischen Eigenschaften zusammen. Dies kann bei einigen Personen zeit- und dosisabhängig zu überhöhten Melatoninspiegeln im Körper führen, verbunden mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten unerwünschter gesundheitlicher Wirkungen.

Aus diesen Gründen sollten aus Sicht des BfR auch erwachsene, im Allgemeinen gesunde Verbraucherinnen und Verbraucher melatoninhaltige NEM nicht unkontrolliert, insbesondere nicht regelmäßig über einen längeren Zeitraum einnehmen. 

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe September 2024 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.