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Gesundheit

Immer mehr Menschen fühlen sich einsam – wir alle können etwas dagegen tun

© rawpixel.com, AdobeStock

Ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland fühlt sich einsam. Besonders betroffen sind Frauen und junge Menschen. Das zeigt das aktuelle Einsamkeitsbarometer 2024, das das Bundesfamilienministerium kürzlich vorgestellt hat.

Der Deutsche Ethikrat spricht sogar von einer „Einsamkeitsepidemie“. Deshalb hat er die zunehmende Vereinsamung zum Schwerpunktthema seiner jüngsten Jahrestagung in Berlin gemacht. An dem fachlichen Austausch beteiligten sich Expertinnen und Experten aus ganz Deutschland, darunter auch Prof. Dr. Çinur Ghaderi von der Evangelischen Hochschule Bochum. Sie meint: „Einsamkeit macht krank und kann sogar gesundheitsschädlicher sein als Rauchen, Alkohol oder Übergewicht. Aber wenn wir als Gesellschaft begreifen, wie wichtig das Thema ist, können wir alle mehr gegen Einsamkeit tun.

Jung, weiblich, einsam

In ihrer täglichen Arbeit und Forschung an der EvH Bochum beschäftigt sich Prof. Ghaderi mit gesellschaftlichen Gruppen, die verletzlicher sind als andere. „Das sind vor allem Menschen, die individuell oder strukturell nicht in der Lage sind, Herausforderungen gut zu bewältigen und deshalb besonders unter Krisen leiden. Natürlich auch unter Einsamkeit“, erklärt die Psychologin. Vor allem junge Menschen zwischen 19 und 22 Jahren geben an, sich einsam zu fühlen. Allein in NRW ist es jede oder jeder Fünfte. Damit gehören junge Menschen genauso zur Risikogruppe wie alleinstehende Seniorinnen und Senioren. Diese Wahrnehmung habe sich nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie noch verstärkt – auch wenn die Zeiten der sozialen Abschottung im Lockdown längst vorbei sind.

Und es gibt einen „Gender Loneliness Gap“: Frauen sind deutlich häufiger von Einsamkeit betroffen als Männer, vor allem Alleinerziehende mit einem hohen Anteil an Care-Arbeit. „Wer sich ständig nur um sich selbst kümmert, hat neben Job und Familie keine Zeit für Freundinnen und Freunde oder Vereine“, erklärt Prof. Ghaderi. Weitere Gruppen, die gefährdet sind, in die Einsamkeitsspirale zu geraten, sind Menschen mit geringem Einkommen, queere Menschen sowie Menschen mit Behinderungen oder mit Flucht- und Migrationshintergrund. „Sie erleben besonders häufig soziale Ablehnung oder Rassismus. Das hat strukturelle Gründe, denn Einsamkeit lässt sich nicht individualisieren.“

Hinschauen hilft!

Diese Entwicklungen haben unmittelbare Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft, so die Expertin: „Neuere Studien zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeitsempfinden und der Einstellung zu Autoritäten gibt. Einsame Menschen haben eine geringere Bindung an die Demokratie, sie fühlen sich unverstanden und zu wenig anerkannt. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht länger ignorieren.“

Dem traurigen Trend der Einsamkeit will Prof. Ghaderi mit einem ganzheitlichen Ansatz begegnen: „Das Thema braucht mehr Aufmerksamkeit in der Stadtteilarbeit und Stadtplanung, in der Geschlechterpolitik, im Bildungsbereich oder auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem brauchen wir neue und mehr Informations- und Unterstützungsangebote, die für alle zugänglich sind. Digital und persönlich.“ Präventionsarbeit beginnt im eigenen Umfeld: „Einsame Menschen haben ein großes Bedürfnis, nicht unsichtbar zu sein, sondern wahrgenommen zu werden. Kleine Gespräche, Unterstützung im Alltag oder auch nur ein Lächeln können helfen, diese Aufmerksamkeit zu signalisieren. Hinschauen hilft! Und hier ist nicht nur die Politik in der Pflicht.“

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe August 2024 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.